Montag, 12. April 2004

letzter Indien-Bericht


Nach langer Zeit kommt mal wieder ein Bericht hier aus Indien. Ich habe am vorletzten Sonntag meine Gastfamilie gewechselt. Ich wohne jetzt zwei Strassen von meiner ersten Gastfamilie entfernt. Meine jetzige Gastfamilie ist ganz ganz anders als meine erste! In meiner ersten Gastfamilie habe ich nur mit meinen Gasteletern zusammengelebt, die beide gearbeitet haben, wir uns also nur morgens abends und am Wochenende gesehen haben. In meiner jetzigen Gastfamilie arbeitet nur mein Vater, meine Mutter ist daher den ganzen Tag zuhause. Ich habe eine Gastschwester in der 9. Klasse die so talkative ist, dass ich da nicht zwischen komme. Ich muss sagen, eine ganz neue Erfahrung! Meine Gastmutter ist zwar housewife, aber sie macht unglaublich viel social work. Sie geht zweimal in der Woche in ein Slum um dort die Kinder Mathematik zu unterrichten, besucht Old Age Homes und die ganzen Unterstuetzungsprogramme von Rotary.
Zu dem Slum bin ich noch nicht mitgekommen, aber ich war mit ihr in einem Old Age Home etwas ausserhalb von Pune. Ich muss dazu sagen, dass Altenheime in Indien noch verhaeltnismaessig neu sind, und auch nicht sehr populaer. Die Familie steht hier an oberster Stelle. D.h. wenn die Eltern nicht mehr arbeiten leben sie mit ihren Kindern zusammen die fuer sie sorgen muessen. In einem Old Age Home sind daher nur Menschen untergebracht die von den Familien aus irgendwelchen Gruenden verstossen worden sind, deren Kinder keine Zeit oder kein Geld haben sie mit zu versorgen oder die ganz einfach keine Verwandten haben bei denen sie unterkommen koennen. Aus diesen Gruenden bekommen diese Menschen auch keinen Besuch, sind also neben ihren Mitbewohnern recht alleine und natuerlich auch nicht immer die gluecklichsten wenn sie wissen oder jeedenfalls das gefuehl haben nicht erwuenscht zu sein.
Meine Gastmutter noch 3 anderen Leute und ich sind zusammen dorthin gefahren. Die Organisation durch die meine Gastmutter dort immer hingeht, ist sowas wie eine Wuensche-Erfuell-Organisation. D.h. meine Gastmutter und die anderen Besucher fragen nach Wuenschen. Die meisten wuenschen sich bevor sie sterben den Tempel des Gottes zu besuchen den sie anbeten, ansonsten wuenschen sie sich mal ein Buch oder bestimmte Musik oder aehnliches. Als wir dort waren war der Wunsch einer Frau ein Autogramm von mir zu bekommen und sie meinte sie liebt mich ja so sehr usw. Das war richtig suess.
Das ganze Old Age Home ist in zwei Teile aufgeteilt, ein Part wo diejenigen leben die bezahlen und der andere Part fuer diejenigen die nicht zahlen koennen. Der Unterschied zwischen den beiden ist im Prinzip nur das die die nicht zahlen selber waschen, kochen und aehnliches machen muessen, und die die zahlen haben eine bhai (mate/ne Art Haushaltshilfe) dafuer.
Waehrend den Gespraechen mit den Frauen (wir haben nur die Frauen besucht, zwei Maenner haben sich um die Maenner gekuemmert), haben einige angefangen zu weinen. Teilweise vor Gluecklichkeit das wir gekommen sind, teilweise weil sie von ihren Problemen erzaehlt haben. – Im grossen und ganzen war das mal wieder eine sehr interessante Erfahrung fuer mich.

Vor ca 2 Wochen war ich mit Rotary und 3 anderen Austauschschuelern in einem Krankenhaus in dem Speziell Polio-erkrankte behandelt und operiert werden. Ich bin mit der Erwartung dorthin gegangen bei der Impfung von einer Gruppe Kindern dabei zu sein. Was sich dann herausstellte war, dass ich eine Operation eines 8-Jaehrigen, an Polio erkrankten Jungen mitangucken durfte! Diesem Jungen wurde die Achillissehne verkuerzt, da der Fuss falsch gewachsen war. Es war wirklich sehr interessant, allerdings waren die “Sicherheitsvorkehrungen” etwas…sonderbar. Wir mussten unsere Schuhe ausziehen haben so eine OP-Muetze aufbekommen und einen Mundschutz und durften mit unseren ganz normalen Strassenklamotten in den Operationsraum. Der Junge war unter Narkose, of course, und eine Krankenschwester hat seinen Puls am Arm kontrolliert…..Naja, ich hatte es mir anders vorgestellt, aber natuerlich weiss ich nicht wie das in Deutschland bei einer solchen, wahrscheinlich Routine-Operation gemacht wird. Die Aerzte haben uns erklaert das Polio in Indien leider noch sehr haeufig ist, da die ungebildeten und armen Leute kein Geld fuer Impfungen haben, bzw. diejenigen die in Doerfern wohnen kommen nicht in die Stadt um das machen zu lassen. Daher hat man viele leute die erst sehr spaet kommen um sich operieren zu lassen, wie der Junge den wir gesehen haben.
Nach der Operation kam dann ein ganzer Bus voll mit Polio erkranketen Kindern, die in einer Polio-Station leben. Es war schon bedrückend diese ganzen Kinder zu sehen die teilweise heftigst entstellt waren. Einige konnten nur Krabbeln oder mit Haenden und Fuessen gehen weil die Knochen so falsch gewachsen waren. Das war schon irgendwie schockierend da ich bis dahin noch keine Polio erkrankte Person gesehen hatte. Wieder eine experience for life...

Ansonsten kann ich sagen das es mir nach wie vor super geht, ich jeden Tag wieder von irgendetwas ueberrascht werde da man hier einfach nie auslernen kann! Seit ca. einer Woche ist es hier richtig ekelig heiss und es wird wahrscheinlich noch schlimmer…hm.
(bevor Fragen kommen warum ich denn keine waerme mag: wenn es 40 grad sind, es unglaublich trocken ist und die Luft verpestet ist von Abgasen aller Art - dann mag ich das einfach nicht mehr so sehr…)

Anyways, wie immer ganz liebe Gruesse von hier!